Nora für 6 Monate in Alakara
Ich bin Nora und ich bin 19.
Von November 2023 bis Mai 2024 war ich in Alakara zu Besuch. Inzwischen ist genau ein Jahr vergangen seit meiner Ankunft und ich warte schon darauf, wieder durch das Tor des Heims zu laufen.
Alles war aufregend, während der ersten langen Reise ohne meine Eltern, aber schon wenige Minuten nach der Ankunft lächelte ich vor mich hin und schaute nur noch herum. Auch jetzt, ein Jahr nach meiner Ankunft im November, denke ich an genau diese Tage. Aus dem Auto beobachtete ich die erste Kuhherde, die um eine Tankstelle herum graste was völlig normal war, auch dass die schönen Tiere unangebunden dort herumliefen. Während der Fahrt versuchte ich, mir die Wörter und Namen an den kleinen Läden am Rand der Straße einzuprägen.
Aus meinem Tagebuch:
Überall hier sind grüne Pflanzen, Stauden, Büsche, große kakteenähnliche Bäume, kleinere Bäume, alles dicht an dicht. Das letzte Stück war ein rotbrauner Sandweg, so huckelig, dass wir manchmal den Boden am Auto spüren konnten.
Als wir ankamen, war das Tor von Alakara schon geöffnet. Zwei kleine Kinder schauten aus einem Haus, bevor auf einmal ganz viele angerannt kamen und um das Auto herum standen. Manche schauten, manche winkten, manche lachten. Der Manager lachte auch: „They are shy.“
Apgei Road nach Atereit
Mit Nele, mit der ich zusammen gekommen war, teilte ich die Hälfte von einer der Rundhütten. Nachdem wir Mittag gegessen hatten, schliefen wir eher unabsichtlich bis zum nächsten Morgen durch. In der Dining Hall stellten wir uns alle gegenseitig vor.
Wir wussten immer noch nicht so genau, wie wir uns den Kindern nähern sollten, unser Plan war erstmal, uns hinzusetzen und ihnen beim Fußballspielen zuzusehen. Gleich als wir aus der Hütte kamen, bekam Nele einen Ball zugepasst. Wir kickten uns den Ball hin und her, mit zwei der größeren Jungs ging das echt gut, bei den Kleineren kam der Ball meist nicht zurück.

Am ersten Tag
Fußball ging sowieso immer, aber auch unzählige andere Spiele konnten die Kinder aus dem Kopf mit einfach Hilfsmitteln spielen. Am Basketballkorb in Teams mit selbstgebauten Bällen, mit Sockenknäulen Gegner abschießend oder bei Versteck-Fange hinter den Rundhütten, alle spielten irgendwo mit. Das Erfinderische beeindruckte mich nicht selten, zum Beispiel, als uns gezeigt wurde, dass man aus dem Saft einer Pflanze Seifenblasen zaubern könne oder wie Armbänder aus Schilf zu knüpfen waren. Am begeistertsten war ich, als mich selbst die kleinen Kinder mühelos in Dame schlugen. Das Spiel hatten sie auf eine Pappe aufgemalt und für die Spielsteine extra rote und blaue Flaschendeckel gesammelt. Auch noch spät abends wurde ich zu Duellen herausgefordert: „Nora, I wanna play with you!“ Ganz am Anfang hatten Nele und ich beigebracht, wie man auf Grashalmen pfeifen konnte und eigentlich freuten wir uns, dass vor allem die Kleinsten so viel Freude damit hatten. Manchmal aber, wenn ich Tagebuch schrieb, oder wir etwas zum Lesen hatten, wurde das ganz schön anstrengend. ;)
Neben all den Spielen, hatten wir auch immer Dinge, die wir gegenseitig voneinander wissen wollten.

Schilfarmband
Die Kinder fragten uns gleich wo wir herkämen und als wir „Germany“ sagten, fragten sie, ob wir ihnen Deutsch beibringen könnten. Ich holte einen weißen Block und einen Stift aus meinem Koffer. Ich begann einen Kuhkopf zu skizzieren und schrieb darunter „KUH“. Einige sprachen es nach. Lawrence sagte das Wort auf Suaheli, ich bat es ihn darunter zu schreiben. Je zwei andere Wörter schrieb er dann auch unter die anderen Begriffe, immer auf Suaheli und „Kiteso“.

Tiere von Lonah
Ich hatte meine Kameras mit. Eigentlich nahm ich die auch immer überall mit hin. Für die Kinder war das ein Highlight. Sie alle lieben es Fotos von allem Möglichen zu machen oder sich gegenseitig zu filmen. Meine Speicherkarten sind voll mit unzähligen wunderschönen Erinnerungen, von Momenten, die ich vielleicht sogar schon vergessen oder gar nicht mitbekommen hätte. Nassir erzählte mir gleich am Anfang, dass er auch gerne mal Kameramann werden wolle.

Fotoshooting
Der erste kleine Ausflug führte uns auf den Berg, an dessen Fuß Aterait und Alakara liegen. Alex hatte schon erzählt, dass auch ganz oben Menschen lebten. Auf dem Weg kamen wir an unzähligen Obstbäumen und Feldern direkt am Abhang entlang. Manchmal sah man es abends brennen, dann wurde eine neue Anbaufläche geschaffen. Überall wuchs Maniok oder Kohl, ganz oben dann die Bananenpflanzen.

Hoch oben
Wir liefen immer weiter hinauf, auf schmalen Pfaden und unausweichlich an Felsen hoch. Irgendeine Stelle fand man für den Fuß immer, auch wenn die Beine dann vom dichten Gestrüpp zerkratzt wurden. Zwischendurch gab es immer wieder die Gelegenheit sich umzudrehen und ins Tal hinabzuschauen. Es ist wunderschön da oben. Man sieht weit, trotz der unzähligen großen Pflanzen. Dass wir oben waren, merkten wir an den Hütten, die auf einmal wieder überall zu sehen waren. Überall standen jetzt wieder Kühe und Schafe am Rand, die die kleinen rosa und lila Blüten fraßen. Die Menschen schauten uns an und winkten oder lächelten. Die Kinder schossen Mangos vom Baum, ganz grün noch, Alex warnte jemanden, er würde sich den Magen verderben.
Zurück im Dorf, wollte ich das erste Mal duschen. Als ich in die Dusche ging und schon mein Shampoo abgestellt hatte, kam Adrianne und sagte mir, dass die Dusche nicht ging. Sie drehte die Leitung auf und wie zur Demonstration tröpfelte das letzte Wasser blubbernd aus der Brause. Sie gab mir eine rote große Schüssel und deutete auf den einzigen funktionierenden Wassertank vor dem Dining Room. Adrianne gab mir noch einen gelben Wasserkanister und versuchte mir pantomimisch zu erklären, wie ich damit duschen sollte. Das ging dann erstaunlich gut.

Wassermangel im Januar
Am Sonntag nach unserer Ankunft halfen wir das erste Mal beim Kochen. Nele und ich waren froh, gefragt zu werden, es machte Spaß gemeinsam in der Dining Hall zu arbeiten und rumzualbern.
Die Jungs erklärten uns wie die Teigstreifen, für das Chapati Fladenbrot, richtig einzurollen waren, so, dass sie am Ende wie eine Zimtschnecke aussahen. Als alle Rollen fertig waren, durfte Nele eine mit dem Nudelholz platt rollen. Dann war ich dran, auch mir zeigten sie genau wie es ging. „You need to make it round“.

Chapati in der Dining Hall
Schon bald fand unser Ausflug ins Schwimmbad statt, worauf sich alle unglaublich freuten. Das Wasser war grasgrün, aber das war egal. Viele hatten Angst davor, in das etwas tiefere Wasser zu laufen. Aber jetzt schon vertrauten sie uns so sehr, dass wir sie auf dem Rücken mitnehmen konnten. Bei wenigen klappte es sogar, die Angst zu überwinden. Ab 1,40 konnte man sowieso auch an der tiefsten Stelle stehen und nach etwas Zeit ging das sogar ohne eine helfende Hand. Auf dem Rückweg waren wir alle müde, aber es war ein wunderschöner Tag gewesen und über die Pommes und die Limo hatten wir uns auch alle gefreut.

Isaac badet
Im November startete der erste Versuch, den Garten wieder zu nutzen. Wir hatten ein Paar Obstbäumchen gespendet bekommen. Den ersten durfte ich einpflanzen, einen Nele, einen die Sozialarbeiterin und den Rest die Kinder. Schon im Vornherein hatte ich überlegt, wie man die Kinder mehr daran binden könnte, sich um die Pflanzen zu kümmern, da mir gesagt wurde, dass genau das schwer sei. Das Interesse an den Pflanzen fand ich eher bei den kleinen Jungs. Nachdem wir dann im Februar noch viele Bananen mit dazu pflanzten und inzwischen auch der Zaun repariert worden war, um die Tiere abzuhalten, gingen wir öfter hin. Im 3 Wochen Rhythmus sollten die Kinder in jeweils einer Hütte täglich zum Gießen gehen. Ich unterstütze die Kleinen mit den Kanistern. Ihr Größter zeigte mir die Pflanzen und erklärte mir welche Bäumchen Mangos, Avocados oder Zitronen waren. Er zeigte mir den Schaum auf der Wiese, der wohl von einer Schlange abstammte und erzählte mir wie viel Angst er auf dem Schulweg gehabt hatte, wenn eine solche seinen Weg gekreuzt hatte oder er einem Chamäleon begegnet war.

Bäumchenrettung
Nachdem sie wussten, dass ich die Insekten, die ich sah, wunderschön fand, kam oft jemand zu mir und öffnete die Hand, in der eine Heuschrecke oder ein bunter Käfer krabbelte. Irgendwann krochen Tausendfüßler und Gottesanbeterinnen über unsere Arme und die Kinder merkten, dass diese, entgegen des Aberglaubens gar nicht in unsere Nasen krabbelten. Ständig brachten wir uns gegenseitig irgendetwas bei, zum Beispiel, dass man die Beeren von Wandelröschen essen kann, Schmetterlinge aus Raupen entstehen und vor welchen Tieren man wirklich keine Angst zu haben braucht.

Entdeckerjulius
Bei den Mädchen bekam ich Tanzunterricht und mir wurde beigebracht wie ich, wie ein Model, auf dem Laufsteg zu posen hatte. „Heute sind wir Models“, wurde mir schon vor dem Abendessen angemeldet und dann wurde jemand für die Jury ausgewählt. Am Schreibtisch in der Rita Hütte hielten wir dann in Tabellen fest, wer in welcher Runde das beste Outfit, den besten Lauf und die besten Posen abgeliefert hatte. Egal wer lief, wir feuerten uns gegenseitig an und kreischten vor Verwunderung, wenn die Kleinsten mehr ablieferten als die Größten. Wenn alle einmal am besten gewesen waren, dann ginge manche nich zusammen duschen, sie mussten aufpassen dabei nicht zu laut zu lachen, damit Alex nicht schimpfen konnte. Vor dem Schlafengehen fragten sie mich, ob ich ihnen eine Geschichte erzählen würde, über mich, oder meine Eltern oder Deutschland. Irgendwann lasen wir immer ein Märchen auf englisch zusammen. Die Mädchen freuten sich über die Bilder von Schneewittchen, Dornröschen und der Froschprinzessin in ihren schönen Kleidern. Wenn ich sie morgens mal zur nahegelegenen Schule brachte, liefen wir Hand in Hand und lachten mit den Nachbarinnen, ihren Freundinnen, mit denen wir zusammen gingen.

Modenschau in der Rita Hut
Mit den größeren Jungs sprach ich über die Zukunft. Eigentlich jeder hatte eine Vorstellung, von dem, was er sein wollte. Doktor, Farmer, Tischler, Pastor, Soldat Ingenieur oder Lehrer, „to make my future easily„, “to defend my country“ und „to help my familiy.“ Der Traum Fußballer zu werden schwebte oft auch durch den Raum, aber die meisten haben damit abgeschlossen, da es so viele gibt, die das gerne werden möchten. Sie teilten gerne ihre Geschichten aus der Schule und dem Leben mit, unterstützt wurden die immer mit sämtlichen Komödieneinlagen, die sie sich irgendwie spontan ausdachten. Wir lachten oft stundenlang zusammen. Dienstag und Samstagabends bereiteten wir oft die Mandazi für das Frühstück am nächsten Tag vor. Meist stand ich zwar nur daneben, oder tanzte mit einem von ihnen zu unserer gemeinsamen Lieblingsmusik, aber ich war immer willkommen, um zu plaudern, mal mitzuhelfen und dann das ganz frische Gebäck zu probieren.

Hausaufgaben
Mama Evaline war wie eine Mutter für mich. Morgens, mittags und abends begrüßte sich mich herzlich zu den Mahlzeiten und behandelte mich wie ihre Tochter. Sie nahm mich in den Arm und erzählte mir mit den wenigen Worten, die sie auf Englisch reden konnte, von ihren Kindern oder fragte, wie es mir ginge und wo ich heute hingehen würde. Wenn die Kinder abends kochten, saß sie, so wie auch Mama Sebencia mit den ihnen vor der Küche, manchmal um ein Feuer, Bohnen oder einen Teig und sie erzählten sich Dinge und lachten miteinander. Mir war es dabei egal, dass ich den Gesprächen nicht folgen und nur bei einzeln Wortfetzen mitlachen konnte. Ihren Worten und Gefühlen nur zuzuhören begab mich in eine so vertraute Stimmung, die es schön machte, einfach dabei zu sein.

Evaline
Lief ich mal alleine zum Markt, dann begleitete mich Simba. Er bellte auch manchmal jemanden an, der sehr schnell auf mich zulief oder sehr laut mit mir redete. Die Menschen im Dorf und am Markt waren zwar immer sehr freundlich, meinen kleinen Beschützer hatte ich trotzdem sehr lieb. Im Halbdunkel folgte er uns still, wenn mal noch Brot in einem der Shops abzuholen war. Nachts schlug er manchmal Alarm, jedenfalls dachte ich das mal, bis ich ihn mit seiner Freundin ertappte. Eine hellbraune Hündin, die wohl durch ein Loch im Zaun schlüpfte, damit sie zusammen übers Gelände düsen konnten, bis der Wachmann seine Taschenlampenrunde drehte.

Bewacher beim nächtlichen Zähneputzen
In der Bibliothek sollten die Kinder in den Ferien lernen. Das funktioniert nicht bei allen, andere wiederum nahmen dies sehr ernst. Wenn es den Mädchen zu warm wurde, nahmen sie sich eine der Holzbänke und machten draußen weiter. Bei ihren Chemieaufgaben konnte ich nicht wirklich helfen, aber andere Fragen studierten wir zusammen. Hosea redete mit mir über seine Traum Highschools, welche besonders gute Abschlüsse hervorbrachten und welche nicht. Als Sarah und Elizabeth im Februar kamen, konnten sie noch nicht gleich zur Schule gehen. Mit den beiden saß ich oft da, um Buchstaben und Zahlen zu wiederholen. Sie fragten selbstständig nach Hausaufgaben von mir und bald fand ich sie zu zweit von 1 - 100 lesend. Solche neuen Herausforderungen sehen sie als Chance sich zu verbessern. Ständig testeten sie, wer höher schneller, weiter vorankam, was dabei hilft sich zum lernen und Hausaufgaben machen zu motivieren.

Gloria und Evans lernen

Alex unterrichtet
Als Silke im April kam, planten wir ein Sportfest. Alle nahmen irgendwo mal Teil und räumten die Preise ab. Selbst die, die nicht erster geworden waren, sagten mir später, dass sie viel Spaß dabei hatten. Schon beim Sportfest in der Schule hatte ich das gemerkt. Aus ganz Teso waren Grundschulklassen gekommen und trotzdem belegten unsere Kinder 1., 2. und dritte Plätze, worauf sie sehr stolz waren und wofür wir auch ein kleines Siegerfest mit Kuchen feierten.

Team Gelb
Auch bei allen Geburtstagen des Monats oder Abschlussfeiern ist das so üblich. Den Kuchen müssen die Geburtstagskinder schneiden und dann wird Sahne auf allen Nasen, die man zu fassen bekommt, verteilt. Jeder liebt es zu tanzen, das geht bei solchen Festen auch in der Dining Hall.

Partyyy
Für Ostern hatte ich Eierfarben mitgebracht. Die kleine Küche platzte fast vor Menschen darin. Alle wollten mitbekommen, wie die Eier langsam blau, grün, rot und gelb wurden. Mit etwas Skepsis wurden die fertigen Eier beäugt. Die Kinder waren sich nicht mehr sicher, ob man die Eier essen könnte und Mama Evaline hielt die blauen für bösartige Schlangeneier. Letztendlich waren alle begeistert, dass die schönen Eier genauso lecker schmeckten wir vorher.

„I am the chef!“

Origami-Ostern
Im Dezember hatten wir die Möglichkeit neun Familien zu besuchen. Wir hatten nur einen Tag dafür Zeit, deswegen schafften wir es nicht bei allen vorbeizufahren. Den ganzen Tag fuhr Benjamin uns durch ganz Teso, zwischendurch regnete es in Strömen, was uns nicht daran hinderte weiterzufahren. Wir wurden herzlich empfangen, egal wo wir hinkamen und es war schade, dass wir immer direkt weiterfahren mussten. Die Kinder sagten, dass es ihnen gut gehe. Manche waren nicht vor Ort, sie wussten ja nicht, dass wir kommen. Ihre Familien berichteten, dass sie irgendwo zum Geld verdienen waren. Einen der Jungs trafen wir auf dem Rückweg vom Umflügen eines Feldes. Die Familien leben auf engstem Raum, alle erzählten von ihrer Wohnsituation, wie sie schliefen und was sie am Tag zu essen hatten. Sie hatten sich gefreut auf uns, denn die Kinder hatten von uns erzählt. Zum Abschied umarmten wir uns, wir würden und vermissen.
„Will you be in Alakara in January, when we go back?“
„Yes, we will await you.“

Benja im Matsch
Alex übernahm die restlichen Besuche. Zu Derick und Caren schaffte er es allerdings nicht, da sein Onkel auf dem Berg in Karisa wohnt. Die Geschwister waren sehr traurig. Ich versprach im Januar noch den Besuch nachzuholen. Mit einigen Kindern kletterten wir wieder auf den Berg. Derick strahlte davon oben zu sein und vor seiner alten Grundschule machten wir ein paar Fotos. Beim Onkel wurde uns viel geschenkt: Avocados, Eier, und Kürbisse. All das trugen wir stolz zurück nach Alakara.

Obstfoto
Ende Januar begann die Zeit, die die größte Herausforderung für mich darstellte. Nele flog nach Hause und die Kinder gingen wieder zur Schule. Ich war mit vielen Ideen und Beschäftigungen für die Kinder gekommen, die Zeit des Alleinseins hatte ich etwas ausgeblendet. Anfangs ging es, da schrieb oder las ich irgendwas. Aber irgendwann begann das Denken. Ich bin war den ganzen Tag mit mir selbst beschäftigt, die Kinder gingen früh vor 6 und kamen teilweise erst im Sonnenuntergang zurück. Ich streifte oft durch den Garten oder übers Gelände, bevor ich mich öfter in der Hütte verkroch, was auch nicht dazu beitrug, die Einsamkeit etwas zu lindern. Manchmal war meine Kraft dann vom Nichtstun aufgebraucht, wenn alle zurückkamen. Teilweise wollte ich einfach nur nach Hause fahren. Trotzdem zweifelte ich keine Sekunde daran, mein Visum am 16. Februar in Kisumu zu verlängern. Irgendwann dachte ich darüber nach, warum ich hergekommen war und raffte mich. Ich suchte mir Beschäftigungen und ging auch mal alleine irgendwo im Dorf herum. An der Schule traf ich die Kinder in der Pause oder beim Sport und wir winkten uns. Eine Gitarre hatte ich jetzt auch, mit Steffis Hilfe, organisiert, worauf ich ein bisschen herumspielen konnte. Abends waren die Kinder fasziniert und wir versuchten zusammen mit Begleitung zu singen. Am 13. Februar kamen zwei Mädchen zu uns, mit denen ich von da an lernte und spielte. Wir halfen uns gegenseitig durch den Tag. Alles wurde täglich besser, so wie ich es erwartet hatte. Viele verschiedene Menschen kamen als Besucher ins Heim und bald waren wieder kurze und dann lange Ferien und wir konnten wieder den ganzen Tag etwas zusammen machen.

Entdeckungstour
Das Allerwichtigste war immer, füreinander da zu sein. Die Fragen, Probleme und Wünsche anzuhören und sich zu verstehen zu geben, dass man sich dabei versucht zu unterstützen. Als ich mich selbst immer mehr geöffnet habe, haben sie das auch gemacht, wir haben einander vertraut und das ist das Schönste, was man haben kann. Es ist klar, dass man nicht immer alle gleichzeitig mit allen Hausaufgaben machen oder spielen kann, aber solange alle wissen, dass für sie auch bald Zeit ist, stellt das kein Problem dar. Das Miteinander mit den Kindern entsteht dadurch, dass man sich austauscht, voneinander lernt und sich gegenseitig annimmt. Es geht nicht nur darum, zu verstehen, dass verschiedene Glaubenseinstellungen vorhanden sind, sondern auch darum, dass Jeder bereit dazu ist, zu hinterfragen und wechselwirkend neue Sichtweisen zu eröffnen.

Flowtow Kids Hut
Dass ich nicht an Gott glaube, sagte ich den Kindern von Anfang an, obwohl ich wusste, wie wichtig ihnen die Religion ist. Oft verwickelten wir uns in Gesprächen über Glauben und Nicht-Glauben. Die Spiritualität, die die Menschen und das ganze Dorf umgibt, hatte mich trotzdem sehr gefesselt und irgendwann habe ich angefangen den Glauben an bestimmte Dinge vor Ort selbst zu fühlen. Was bis jetzt davon geblieben ist, ist der Gedanke daran, wie sehr diese Werte auch mich für die Zeit prägten. An die tägliche Umgebung von Glaube, Religion und Spirit erinnere ich mich gerne, da dadurch irgendwie alles und jeder verbunden war.

„Believe in Yourself.“
Jetzt sitze ich alleine zu Hause auf der Terasse und poliere meine Lederschuhe, so wie es mir die großen Jungs gezeigt haben. Manchmal schaffe ich dreckige Wäsche nicht zur Waschmaschine, nehme mir lieber eine Schüssel mit Wasser und reibe den Stoff aneinander, um die Flecken loszuwerden, so wie Mama Evaline und die Mädchen es mir richtig beibrachten. Auch das Geschirr wasche ich in der Spüle, es erinnert mich an das weiße Licht vor der Dining Hall, wo wir nach dem Abendessen abwuschen. Wenn ich in meinem alten Kinderzimmer den Schrank öffne, sehe ich haufenweise Puzzle und Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, was ich erst mit den kleinen Jungs lieben gelernt habe. Manchmal flogen wutentbrannt die Kegel durch die Hütten und dann lachten wir zusammen, wenn ich den Namen des Spiels noch einmal übersetzte.
Es gibt kein einfaches Fazit, was ich aus diesen sechs Monaten ziehen kann oder möchte. Ich habe so viele lebenswichtige Momente erlebt und könnte alles niemals in wenigen Sätzen zusammenfassen. Ich könnte ewig weiterschreiben und von vielen Dingen erzählen, doch vielleicht sind das auch Dinge, die man selbst herausfinden und erleben muss.
Eine Einstellung, die mich seit Februar aber begleitet, hat mir Steffi vermittelt, als ich vor einer Situation stand, an der ich Zweifel hatte, sie alleine zu bestehen.
„Die Wege führen zur Angst.“

Weit weg, wo es schön ist
Der Abschiedsschmerz im Mai war so groß, wie kein anderer jemals. Ich vermisse die Sonne, das Dorf und die Pflanzen, die Stille und die Luft auf dem Berg, die vielen Früchte und Tiere und das Mopedfahren; am meisten aber Alakara. „Nicht weinen,“ wurde mir nur immer wieder gesagt, „das bedeutet sonst, dass du nie wieder kommst.“ Ich wollte die Kinder zwar nicht in dem Glauben lassen, denn ich habe versprochen wiederzukommen, aber meine Gefühle konnte ich nicht unterdrücken. Schon bei meiner Abschiedsfeier, kurz vor der Abreise, bei der ich auch von den Kinder ein Paar Abschiedsworte bekam, wurde das für die Kinder sehr erkenntlich. Manche verstanden nicht, warum ich weinte. „Guys, you know, Nora, she doesn’t have siblings but you, so it is especially hard for her to say Goodbye now,“ sagte Alex.
Aber wir werden uns wiedersehen,
nakupenda sana Alakara.